7.25 Uhr / Meile 0
Zusammen mit ca. 13.000 anderen Läufern stehe ich am Start zum OC Marathon, einem jährlich in Irvine und Newport Beach stattfindenden Event. In wenigen Minuten geht es los: ich werde meinen ersten Halb-Marathon antreten und hoffentlich auch beenden können. Es herrscht eine professionelle Atmosphäre, überall stehen Stände der Sponsoren und auch um diese Uhrzeit sind bereits zahlreiche Zuschauer an der Strecke. Aus den Lautsprechern peitscht der Moderator die Stimmung noch einmal richtig an. Es ist bestes Wetter, keine Wolke ist am Himmel zu sehen und eigentlich ist es selbst für Kalifornien viel zu warm für diese Jahreszeit. Da es früh am Morgen ist, ist die Temperatur noch sehr angenehm, jedoch wird das Thermometer im Laufe des Tages noch über 30 Grad Celsius steigen.
7.28 Uhr / Meile 0
Plötzlich verstummt der Moderator und aus den Lautsprechern ertönt die amerikanische Nationalhymne, während am Horizont die Sonne langsam aufgeht. Mir läuft ein Schauer den Rücken herunter und nun wird mir langsam bewusst, dass vor mir eine Strecke von 13 Meilen (ca. 21 km) liegt. Zwar war ich in den letzten Monaten immer wieder laufen, jedoch war ich dann am Ende doch nicht so diszipliniert, wie ich es mir eigentlich vorgenommen hatte und habe nur noch unregelmäßig trainiert. Meine größte Trainingsdistanz die ich bis dahin zurückgelegt habe, waren somit auch gerade mal 8 Meilen – 5 Meilen weniger, als die Distanz, die heute vor mir stand. Hinzu kommt, dass ich mir bei einem Lauf vor ca. einem Monat eine Verletzung zugezogen habe, die ich seitdem nicht mehr richtig wegbekommen habe. Bei meinem letzten Testlauf vor einer Woche, hatte ich beim Laufen vom Beginn an Schmerzen.
7.30 Uhr / Meile 0
Als der Startschuss fällt geht es los. Naja, noch nicht so ganz. Bis sich 13.000 Läufer in Bewegung gesetzt haben, vergeht erst einmal einige Zeit und so erreiche ich auch erst nach ca. 90 Sekunden den eigentlichen Startpunkt.
Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, trägt jeder Läufer einen Chip an seinen Schuhen, der beim Überschreiten der Start- und Ziellinie registriert wird, so dass am Ende des Laufes die exakte Zeit jedes einzelnen Läufers ermittelt werden kann. Zudem sind auch an weiteren Punkten Messstationen eingerichtet, so dass kein Läufer eine Abkürzung nehmen kann. Schließlich laufen mit uns auch die Läufer für die volle Marathon-Distanz, unter ihnen auch einige der weltbesten Läufer.
Meile 6 (ca. 10 km)
Das Rennen verläuft gut. Knie und Füße spielen gut mit. Bisher keinerlei Schmerzen zu verzeichnen. Konditionsmäßig ist alles in Ordnung. Nach wie vor ist das Feld jedoch noch sehr dicht beieinander und man muss aufpassen, dass man nicht mit anderen Läufern kollidiert. Bislang habe ich mich hinter einer Gruppe von 3 Frauen gehalten, die parallel nebeneinander gelaufen sind und mir somit nach vorne die Bahn freigehalten haben. Da mir diese jedoch nun zu langsam werden, hänge ich mich von hieran an eine andere Gruppe.
Immer wieder kommt man an Stationen vorbei, wo einem Wasser oder Mineraldrinks gereicht werden, die man im Laufen zu sich zu nehmen versucht. Auch stehen überall Einsatzwagen und Hilfskräfte von Polizei, Feuerwehr und freiwilligen Helfern, die die Strassen absperren. Notärzte sind in regelmäßigen Abständen positioniert. Bereits hier haben zahlreiche Läufer angefangen nur noch zu gehen und legen in regelmäßigen Abständen sogar Pausen ein. Vor den aufgestellten Toiletten bilden sich die ersten Schlangen.
Meile 7 (ca. 11 km)
Ok, bis hierher ging es soweit ganz gut. Etwas mehr als die Hälfte der Renndistanz habe ich geschafft. An Meile 7 stehen Lisa und die Freundin von Anson, der ersatzweise für Lisa eingesprungen ist und unter ihrer Nummer läuft, und feuern uns an. Zwar wollte ich mich eigentlich bereits am Start mit Anson treffen, bei der großen Anzahl der Läufer haben wir uns dann jedoch leider irgendwie verpasst. Auch meine Zeit ist nach wie vor gar nicht so schlecht; soweit bin ich einen Schnitt von unter 10 Minuten pro Meile gelaufen.
Meile 9 (ca. 14 km)
9 Meilen liegen hinter mir. Noch nie zuvor bin ich in meinem Leben eine solch lange Distanz an einem Stück gelaufen, zudem noch ohne bisher eine Pause zu machen oder ein paar Schritte zu gehen. So langsam beginne ich daran zu glauben, dass ich den Halb-Marathon tatsächlich beenden kann.
Meile 10 (ca. 16 km)
Die Schmerzen beginnen! Zunächst im rechten Fuß, dann im linken Knie, dann wieder zurück. Die größte Herausforderung bei einem Halb-Marathon ist Kopfsache, habe ich mir sagen lassen. So spielt auch bei mir die Kondition bisher sehr gut mit. Viel mehr muss ich mich nun auf die Beendigung des Rennens konzentrieren und versuchen, die Schmerzen zu verdrängen. Das Problem dabei ist jedoch, dass jeder einzelne Schritt einen unsanft wieder daran erinnert.
Meile 11 (ca. 18 km)
Noch 2 Meilen! Noch 2 Meilen! Ich mache mittlerweile ganz konzentrierte Atemübungen, um mich ein wenig von meinen Schmerzen abzulenken. Als ich eine weitere Station erreiche, wo einem ein Energy-Gel und Wasser gereicht wird, bin ich über froh. Während ich in der einen Hand den Becher mit Wasser vorsichtig halte, um auch keinen Tropfen zu verschütten, beschäftige ich mich die folgenden Meter damit, das Gel aus der Tube in meinen Mund zu drücken. Es ist furchtbar süß und schmeck nicht sonderlich gut, jedoch beschäftigt es mich mal wieder eine Weile. Als ich die Tube leer gedrückt habe, werfe ich sie an den Straßenrand und spüle meinen Mund mit dem Wasser aus, bevor ich ein paar Schlucke trinke. Die letzten Tropfen nutze ich, um mir meine klebrigen Finger ein wenig abzuwaschen. Die wenigen Tropfen reichen natürlich bei weitem nicht und die immer noch klebrigen Hände wische ich mir an meinem T-Shirt ab. Egal: Ich will nur noch ankommen!
Meile 12 (ca. 19 km)
Durchhalten. Schritt. Durchhalten. Schritt. Durchhalten. Schritt. Die letzte Wasserstation vor dem Ziel ist erreicht und zum ersten Mal seit dem Start halte ich an, um im Gehen mein Wasser zu trinken. Nun will ich nur noch ankommen. Meine Zeit ist mir egal. Mittlerweile gibt es viele Läufer, die nur noch langsam gehen, um sich so ins Ziel zu retten.
Als ich die bei Meile 6 erwähnten 3 Frauen erblicke, die an mir vorbei laufen, nehme auch ich wieder eine schnellere Geschwindigkeit auf. Kurz vor dem Ziel sind die Schmerzen jedoch so groß, dass ich bereits beim Anblick des letzten Hügels (in Form einer Brücke über einen Highway) beschließe diesen hinauf zu gehen, um dabei nochmals Reserven zu mobilisieren. Oben angekommen habe ich mich ein wenig erholt, schaffe es den Hügel hinunter und sehe in einiger Entfernung das Chrysler Gebäude, wo sich das Ziel befindet. Nun stehen auch bereits am Straßenrand eng gedrängt viele Zuschauer, die die Läufer lautstark anfeuern. Von alle dem bekommt man als Läufer jedoch nur noch erstaunlich wenig mit.
Die letzte Kurve und dann bin ich im Ziel. Überall stehen Helfer herum und reichem einem irgendwelche Getränke, Decken und Essen. Auch ich habe Hunger, oder vielmehr Lust auf Süßes. Innerhalb weniger Minuten stopfe ich 2 Donuts, ein Snickers, 2 Orangen und eine Banane in mich rein; dazu jede Menge Wasser. Meine Beine beginne ich sofort mit einem Beutel voll Eis zu kühlen.
9.45 Uhr / Meile 13,1 (ca. 21 km)
Ich habe es geschafft! Hinter mir liegen 13 Meilen (ca. 21 km) und eine weitere tolle Erfahrung in meinem Leben. Meine Zeit: 2 Stunden 13 Minuten - für meinen ersten Lauf ganz beachtlich.
Es war eine Herausforderung, die ich angenommen und die ich bewältigt habe. Ich muss jedoch zugeben, dass sie mir auch meine Grenzen aufgezeigt hat.
Dass ein (Halb-) Marathon nicht zu unterschätzen ist, zeigt sich leider nochmals deutlich am nächsten Tag, wo ich in der Zeitung lese, dass einer der Marathon-Läufer nach dem erfolgreichen Einlaufen ins Ziel zusammengebrochen und verstorben ist.
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